Am Montag, den 13. August hatte vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg das Verfahren gegen den kurdischen Politiker und Aktivisten Ali Ihsan Kitay begonnen. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft dem 47 jährigen Kurden vor, dass er als Kader der PKK ab Mai 2007 das Gebiet Hamburg und ab Juni 2007 zusätzlich die Region Hamburg geleitet haben soll. Straftaten in Deutschland werden ihm nicht vorgeworfen.
Die Verteidigung Kitays stellte am dritten Prozesstag, Dienstag den 21. August, den Antrag das Verfahren auszusetzen. Das OLG Hamburg solle eine Entscheidung des Bundesverfasungsgerichtes einholen, ob § 129 b gegen das Grundgesetz verstößt. In der folgenden Antragsbegründung legte Rechtsanwalt Carsten Gericke dar, warum § 129 b verfassungswidrig ist. In der juristischen Literaratur werde die Einführung des Paragrafen zurecht als gesetzgeberischer Aktionismus nach den Anschlägen des 11. 09. 2002 kritisiert. Er weise deshalb starke handwerkliche und rechtstaatliche Fehler auf. Der Paragraf sei zu unbestimmt und beliebig auslegbar und könne zudem durch seine universelle Anwendbarkeit, in Bezug auf Sachverhalte in Staaten außerhalb der EU über die meist zu wenig detaillierte Sachkenntnis vorliegt, letztlich nicht effektiv zum Schutz der öffentlichen Sicherheit in der BRD beitragen.
„Der § 129 a kann nicht, wie durch die Etablierung des § 129 b versucht wird, auf Länder übertragen werden, die nicht rechtstaatlich organisiert sind. In diesen ist es als legitim zu werten, dass Befreiungsbewegungen oder bewaffnete Milizen Widerstand gegen Grund- und Menschenrechtsverletzungen oder staatliche Willkür leisten,“ so Gericke. Deren Handeln dürfe deshalb nicht als Terrorismus definiert und strafrechtlich verfolgt werden. Dies werde zum Beispiel Heute in Bezug auf den ANC und Nelson Mandela, die Zapatisten, die Sandinisten, die die Regierung Nicaraguas stellen oder die FMLN in El Salvador weder politisch noch juristisch in Frage gestellt. Menschen die für diese Bewegung Unterstützung mobilisieren oder Spenden sammeln, würden berechtigterweise auch in der Bundesrepublik nicht strafrechtlich verfolgt. Das gleiche Prinzip müsse auch für Bewegungen, wie z.b. die kurdische Befreiungsbewegung, die die Unterstützung einer Bevölkerung von mehreren Millionen Menschen in solch einer legitimen Auseinandersetzung genießt, gelten.
Dadurch, dass das Bundesministerium für Justiz durch eine Ermächtigung entscheidet welche Bewegung strafrechtlich verfolgt wird und welche nicht, würden Strafrecht und Gerichte für politische Interessen mißbraucht, so Gericke. Die Entscheidung über eine Bewertung der Bewegungen falle bei der Ermächtigung zur Verfolgung gemäß § 129 b nicht in einem öffentlichen und transparenten juristischen Verfahren, sondern hinter verschlossenen Türen auf politischer Ebene. Außenpolitischen Interessen folgend würden so zum Beispiel fälschlicher Weise Einschätzungen von Regierungen und Behörden verbündeter Staaten, in denen legitimer Widerstand gegen gravierende Rechtsverletzungen als Terrorismus definiert wird, übernommen.
Die Vertreterin der BAW forderte, diesen Antrag sofort abzuweisen und zitierte dazu eine Urteilsbegründung des OLG München aus einem Al Qaida Verfahren, in dem lediglich wenige Sätze in Bezug auf Teilaspekte des o.g. Problemfelds beurteilt werden. Die Verteidigung erwiderte darauf, dass die BAW den Kontext verfehlt habe und Aspekte wie die Unterstützung der kurdischen Bewegung durch einen Großteil der Bevölkerung, das erlitteene Leid mehrerer Millionen Menschen, die anhaltende Folterpraxis in der Türkei sowie die staatliche Nichtakzeptanz der kurdischen Kultur und der Existenz der KurdInnen überhaupt, ausblende. Zudem müsse jeder Erstsemesterstudent über die juristische Bezuglosigkeit der Stellungnahme der BAW lachen, was die anwesenden ZuschauerInnen zu diesem Zeitpunkt bereits ausgiebig getan hatten.
Das Gericht vertagte die Entscheidung über den Antrag sowie völkerrechtliche Aspekte insgesamt auf einen angemessenen Zeitpunkt, nach der Klärung des Sachverhalts. Mehr als fraglich ist, wie die Rechte des Angeklagten so gewahrt werden sollen. Nach der Klärung des Sachverhalts bedeutet faktisch – nachdem geklärt wurde ob Ali Ihsan Kitay eine leitende Funktion innerhalb der PKK eingenommen hat. Wenn aber die Strafbarkeit einer solchen Tätigkeit gemäß § 129 b, durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht mehr gegeben wäre, würde die gesamte Grundlage des Verfahrens entfallen. Das hieße dann unter anderem, dass Ali Ihsan Kitay mehr als ein Jahr Untersuchungshaft ohne rechtliche Grundlage verbüßt hätte.
Danach ließ das Gericht mehrere Stunden lang Telfonüberwachungsaufzeichnungen anhören. Deren Inhalt waren unter anderem private Belange, wie z.b. in ein Gespräch von Ali Ihsan Kitay mit seinem Bruder in der Türkei. Weitere Gespräche, in denen sich der Angeklagte mit FreundInnen über alltägliche Belange oder Demonstrationen unterhielt, werden seitens der BAW, für ProzessbeobachterInnen anhand der gehörten Gespräche nicht nachvollziehbar, als Beweis für die Leitungsfunktion Ali Ihsan Kitays in der PKK gewertet.
Vierter Verhandlungstag – Widerspruch gegen die Verwertung von erfolterten Aussagen
Am vierten Verhandlungstag widersprach die Verteidigung Ali Ihsan Kitays u.a. der Verwertung von Rechtshilfeersuchen aus der Türkei. In unzähligen Beschlüssen von Oberverwaltungsgerichten (OVG) wurde festgestellt, dass die Türkei nicht rechtstaatlich organisiert ist – und in Strafverfahren regelmäßig erfolterte Aussagen verwendet werden. Die PKK wird staatlicherseits als Hauptfeind definiert und die Verfolgungsbehörden würden alle Mittel nutzen, auch Folter und Menschenrechtsverletzungen um Mitglieder und Sympatisanten der Organisation zu Aussagen zu zwingen oder von weiteren Aktivitäten abzubringen, so die OVG in sämtlichen Urteilen. Deshalb seien die Rechtshilfeersuchen aus der Türkei oder weiteren Ländern, in denen sich Behörden auf erfolterte Aussagen aus der Türkei beziehen, im Prozess nicht verwertbar, erklärte Rechtsanwältin Cornelia Ganten Lange. Darüber hinaus haben die Rechtshilfeersuchen der BAW zum Teil schon seit Januar 2011 vorgelegen. Obwohl den BundesanwältInnen bewusst war, dass diese in die Anklage einfließen sollen, habe sie diese jedoch erst jetzt Gericht und Verteidigung zur Einsicht gegeben. Die Gleichbehandlung der Prozessbeteilgten (Waffengleichheit) sei dadurch grob verletzt, so Rechtsanwalt Gericke. Die Vertreterin der BAW forderte ohne nachvollziehbare Argumentation, dass der Antrag zurückgewiesen wird. Die Entscheidung über den Antrag wurde vertagt.
Zudem entschieden die 5 RichterInnen des OLG über den Antrag der Verteidigung, die das Selbstleseverfahren in großem Umfang kritisiert hatte. Diejenigen der mehr als 200 Dokumente, in denen Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) Wertungen vorgenommen haben und einige unvollständig oder völlig konfus übersetzte Texte sollen nun nicht mehr per Selbsleseverfahren eingeführt werden. Die RichterInnen folgten somit einem Teil der Argumentation der Verteidigung. Da ein großer Anteil der beabsichtigten Dokumente aber weiterhin nur von den Richterinnen, der BAW, der Verteidigung und Ali Ihsan Kitay gelesen werden sollen und nicht in der Verhandlung thematisiert werden, wird der Öffentlichkeit trotzdem nur ein unvollständige und verzerrte Sicht auf die Hintergründe der Anklage und die Sachlage im Verfahren zugänglich.