Solidarität ist unsere stärkste Waffe. Gemeinsam gegen Beugehaft!

Magdeburg 2005: Im Verfahren gegen den „Autonomen Zusammenschlusz“ wird im April 2005 gegen den bereits verurteilten Marco H. eine sechsmonatige Beugehaft angeordnet, weil er Aussagen gegen seinen Mitangeklagten konsequent ablehnt. Weitere zehn ZeugInnen werden ebenfalls mit diesem Repressionsinstrument bedroht, das eine Inhaftierung für die Weigerung vorsieht, andere zu belasten. In einer gemeinsamen Prozesserklärung lehnen die Betroffenen kollektiv jede Aussage ab. Im Juni 2005 verhängt das Gericht auch gegen Carsten S. fünf Monate Beugehaft, um sein solidarisches Verhalten zu bestrafen.

Frankfurt 2013: Im Prozess gegen Sonja S. und Christian G., denen militante Aktionen der Revolutionären Zellen (RZ) vorgeworfen werden, wird mehrfach die Zeugin Sibylle S. vorgeladen. Sie soll die unter folterähnlichen Bedingungen gewonnenen Aussagen eines Aktivisten bestätigen, der in den 1970er Jahren bei einer Bombenfehlzündung beide Beine und die Augen verlor und im Krankenhaus unter Betäubungsmitteln verhört wurde. Die Zeugin weigert sich, die später widerrufenen Angaben zu kommentieren, und lehnt die Kooperation mit den Repressionsorganen umfassend ab. Deshalb wird sie im April 2013 für vier Monate in Beugehaft genommen, um ihre Nicht-Zusammenarbeit mit dem Gericht zu bestrafen.

Konsequente Aussageverweigerung ist der einzige Weg, um Ermittlungsverfahren ins Leere laufen zu lassen. Zu ihr gibt es keine Alternative.

Was ist Beugehaft?

Alle kennen das Recht der/des Angeklagten, die Aussage zu verweigern, um sich nicht selbst zu belasten (§55 StPO). Alle kennen die Parole »Anna und Arthur halten’s Maul!«, die zur Nicht-Kooperation mit Polizei und Gericht auf-ruft. Was aber, wenn als ZeugIn kein Recht auf Aussageverweigerung besteht?

Wer als ZeugIn bei einer Vorladung zu Staatsanwalt oder Gericht (wohlgemerkt nicht bei der Polizei!) konsequent die Aussage verweigert, um andere AktivistInnen nicht zu belasten, muss mit der Androhung einer Geldstrafe in Höhe von bis zu 1000€ (Ordnungsgeld) oder – in Extremfällen – gar von Beugehaft nach §70 StPO rechnen. Dabei handelt es sich um eine bis zu sechsmonatige Haft, die ausschließlich der Zermürbung der direkt Be troffenen und der Entsolidarisierung in einer eingeschüchterten Szene dienen soll. Dieses Zwangsmittel kann nur von einem/r Rich terIn und nur einmal pro Verfahren verhängt werden – nach einer Höchstdauer von sechs Monaten kann das Gericht also im selben Prozess nicht dieselbe Person erneut wegen Aussageverweigerung in den Knast stecken. Beugehaft ist keine Strafe im juristischen Sinn und taucht daher nicht im Führungszeugnis auf.

Infamerweise muss der/die Eingeknastete auch noch für die Beugehaft bezahlen: Die Tagessätze, die je nach Bundesland eine Höhe von 60€ erreichen können, stellen eine weitere Schikane des Staates dar.

Beugehaft gibt es nicht erst seit gestern

Besonders bei so genannten Organisationsdelikten (also den Vorwürfen einer »kriminellen« bzw. »terroristischen Vereinigung« nach §§ 129/129a/129b) wird seit Jahrzehnten immer wieder »Erzwingungshaft« gegen ZeugInnen eingesetzt. So kam es nicht erst in dem bekannten Verfahren gegen die Zeitschrift RADIKAL in den 1990er Jahren, sondern schon Ende der 1980er Jahre erstmals zu einer größeren Beugehaftwelle. Damals wurde acht ZeugInnen im Rahmen der Verfahren gegen die RZ/Rote Zora Beugehaft angedroht; zwei Bochumerinnen saßen mehrere Wochen im Knast, weil sie weiterhin schwiegen.

Wenige Monate zuvor war unter dem (kurz darauf erweiterten) Motto »Arthur hält’s Maul« eine breite Kampagne zur Aussageverweigerung angelaufen, die folglich ganz besonders ins Fadenkreuz der Behörden geriet. So erklärte die Bundesanwaltschaft (BAW) die Beugehaft zur wichtigen Waffe im staatlichen Kampf gegen organisierte Aussageverweigerung, die ebenfalls mit einem 129a-Verfahren verfolgt wurde: »Von den etwa 200 Anschlägen der RZ/Rote Zora konnte nur ein verschwindend geringer Teil bekannten Tätern zugeordnet werden. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Verhalten von Sympathisanten, die in der Erfüllung ihrer strafprozessualen Pflichten eine zu verneinende Kooperation mit dem Staatsschutz sehen. Deshalb muss die kollektive Aktion über das Mittel der Beugehaft gebrochen werden« (aus einem Beugehaftantrag der BAW vom Herbst 1987).

Damit ist klar: Die Androhung und Verhängung dieses ultimativen »Ordnungsmittels« ist ein Angriff auf unsere Solidarität und die gesamten politischen Zusammenhänge.

Umgang mit drohender Beugehaft

Dennoch sind von der Knastdrohung zunächst Einzelne be-troffen – und das in existenzieller Weise. Die Aussicht, ein halbes Jahr hinter Gittern zu verbringen, die Angst, aus dem politischen und sozialen Umfeld gerissen zu werden, der familiäre Druck und der möglicherweise drohende Verlust von Wohnung, Job oder Ausbildungsplatz sind Faktoren, die Zweifel in den Betroffenen aufkommen lassen. In dieser Situation ist es unentbehrlich, dass sich eine verläss liche Soligruppe bildet, die die praktischen und finan-ziellen Probleme zu lösen hilft. Dazu gehören die Fortzahlung der Miete und anderer laufender Kosten, die Über nahme der durch die Beugehaft-Tagessätze entstehenden Schulden, die Organisierung von Knastbesuchen und Öffentlichkeitsarbeit und eventuell zuverlässige Betreuung für die Kinder.

Gleichzeitig dürfen auch die persönlichen Ängste der von Haft Bedrohten nicht vernachlässigt werden. Dabei wird das Schreckgespenst Knast oftmals relativiert, wenn ein Austausch mit Leuten stattfindet, die bereits einige Zeit inhaftiert waren: es gibt ein Leben im Knast, und die Dauer der Beugehaft ist begrenzt. Zudem kann das Bewusstsein, dem Staat durch konsequente Aussageverweigerung die Zähne zu zeigen, viel Energie freisetzen. Dennoch muss es für die Betroffenen auch möglich sein, die Zweifel an ihrer eigenen Stärke innerhalb der Soligruppe angstfrei zu artikulieren. Nur in dem Gefühl, in finanzieller, praktischer und emotionaler Hinsicht gestärkt zu werden, kann eine Entscheidung in einem politischen Kontext und mit dem erforderlichen Rückhalt getroffen werden.Bei konsequenter Aussageverweigerung ist die Angst vor Beugehaft, die von Zeit zu Zeit gehäuft verhängt wird, verständlich und begründet. Deshalb ist auch jenseits direkter Betroffenheit wichtig, sich frühzeitig innerhalb solidarischer und verlässlicher Strukturen mit dem Themenkomplex Aussageverweigerung und Beugehaft auseinanderzusetzen.

Jede Beugehaftwelle verebbt wieder, wenn sie erfolglos bleibt, d.h. die Leute das Maul halten. Wenn das Gegenteil der Fall ist, wird sie immer wieder anrollen!

Aussageverweigerung ist eine politische Angelegenheit – sie braucht starke Solistrukturen!

Rote Hilfe Info zu Beugehaft zum downloaden