In den letzten Wochen wurden in Hamburg mehrere kurdische Jugendliche von Mitarbeitern des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz angesprochen. Sie wollten die Jugendlichen dazu nötigen, mit dem Verfassungsschutz zusammen zu arbeiten. Falls sie dies nicht tun würden, drohten die Verfassungsschützer mit negativen Konsequenzen. Diese Praxis wird auch in weiteren Bundesländern seit gut einem Jahr immer intensiver angewandt.
In einem Fall war es so, dass die betroffene Person auf dem Schulweg nahe der eigenen Wohnung „angequatscht“ wurde. Oft suchen sich die Geheimdienstler überraschende Situationen, in denen man so etwas eigentlich nicht erwartet.
Auf dem Weg zur Schule wurde die 20jährige Kurdin in sehr belästigender Art regelrecht verfolgt, obwohl sie verdeutlichte, dass sie kein Interesse an einem Gespräch hat. Der Verfassungsschutzbeamte stellte sich als ein solcher vor und sprach sie mit Namen an. Es handelte sich um einen relativ großen, sehr schlanken Mann, Mitte bis Ende 30, schwarze Jacke, schwarze Mütze, Brille und Neurodermitis im Mundbereich. Er wollte erfahren, was die Jugendliche zu den Morden an den drei Exilpolitikerinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez in Paris und über die Friedensinitiative Abdullah Öcalans sowie zu dem Friedensprozess denkt, der gerade in der Türkei auf Initiative der kurdischen Seite begonnen hat. Er sagte, dass er wisse, dass sie sich oft im kurdischen Verein aufhält. Obwohl die Jugendliche ganz klar deutlich machte, dass sie kein Interesse hat, Auskünfte zu geben, verfolgte der Mann sie bis zur nächsten Bushaltestelle und nötigte sie dazu, seine Visitenkarte anzunehmen. Sie solle ihn auf jeden Fall anrufen. Insgesamt wurde der Verfassungsschutzbeamte mit zunehmender Dauer immer unfreundlicher und aufdringlicher, bis an der Bushaltestelle weitere Personen anwesend waren, denen ein solch unsoziales Verhalten aufgefallen wäre.
Wenige Tage später rief der gleiche Mann bei der Betroffenen zu Hause an. Im Gespräch war er noch unfreundlicher, dutzte sie und drohte, dass wenn sie selbst keine Auskunft und Insiderinformationen geben würde, andere erfahren würden, wie sie sich im Zusammenhang mit kurdischer Politik und dem örtlichen kurdischen Verein engagiert. Die Jugendliche ließ sich davon nicht einschüchtern und machte auf entschlossene Weise deutlich, dass sie nicht mehr belästigt werden will und keine Auskünfte gibt.
Kein Einzelfall…
Aus weiteren Fällen in der letzten Zeit ist bekannt, dass kurdische Jugendliche beispielsweise zu Hause oder auf der Arbeitsstelle von Verfassungsschutzbeamten aufgesucht werden und in zahlreichen Fällen z.B. versprochen wird, dass sie bei einer Mitarbeit eine zuvor beantragte deutsche Staatsangehörigkeit, Niederlassungserlaubnis oder regelmäßig „große Summen Geld“ erhalten würden. Bei Ablehnung werden dagegen oftmals längere Wartezeiten auf beantragte, existenziell wichtige Dokumente, eine Ablehnung des beantragten Status oder weitere negative Konsequenzen, wie existenzbedrohende Sanktionen gegen die Angesprochenen oder deren Familien angedroht.
Derartige, rechtswidrige und erniedrigende Anwerbungsversuche verletzen die Würde des Menschen, die im ersten Artikel des Grundgesetzes garantiert ist. Dadurch wird auch die Integrität der Betroffenen verletzt.
Eine Gefahr geht in der Bundesrepublik nicht von den hier aufgewachsenen kurdischen Jugendlichen aus, die sich demokratisch in Vereinen organisieren und sich dort für Demokratie und Menschenrechte sowie die Anerkennung der kurdischen Identität engagieren, sondern von den offensichtlich rechts- und verfassungswidrigen Methoden der Verfassungsschutzbehörden.
Insgesamt wird durch dieses Vorgehen neben dem Einholen von Informationen auch versucht die kurdische Community einzuschüchtern und zu spalten. Das ist völlig inakzeptabel, respektlos und ausgrenzend.
Umgang mit Anquatschversuchen
Falls auch Ihr oder Freunde in eurem Umfeld angesprochen werden, gibt es in der Roten Hilfe-Broschüre „Aussageverweigerung“ zum Umgang in und nach einer solchen Situation ( http://www.rote-hilfe.de/index.php/downloads/category/5-broschueren?download=4:bitte-sagen-sie-jetzt-nichts-aussageverweigerung-und-verhoermethoden).
Lasst euch keine Angst machen. Wenn es geht, lasst Euch den Ausweis zeigen. Prägt Euch den Namen, das Aussehen der Person, gegebenenfalls Auto und Autokennzeichen möglichst genau ein. Das schützt zwar nicht davor, dass sie ihren Namen und das Auto wechseln, macht es ihnen aber bei Veröffentlichung schwerer, weiterhin Leute zu belästigen und herumzuschnüffeln. Prinzipiell ist es sehr nützlich nach dem Vorfall ein schriftliches Gedächtnisprotokoll anzufertigen.
Und ganz wichtig: Redet mit FreundInnen, Bekannten und GenossInnen über den Anquatsch-versuch. Unsere wirksamste Waffe ist ein offener, vertrauensvoller und solidarischer Umgang miteinander. In einer solidarischen Atmosphäre unter GenossInnen sollte es dabei auch möglich sein einzugestehen, wenn Fehler gemacht wurden – der Verfassungsschutz eventuell etwas erfahren hat. Ein solcher Vorfall macht Angst, und auch wenn ihr euch nicht vorbildlich verhalten habt: Es ist nie zu spät, mit jemandem darüber zu reden.
Macht den Anquatschversuch öffentlich, denn der Verfassungsschutz ist ein Geheimdienst und scheut nichts so sehr wie die Öffentlichkeit! Sonst versuchen sie es auch immer wieder. Auch sollten AnwältInnen einbezogen werden, lokale Antirepressionsstrukturen, der Ermittlungsausschuss (EA) und soweit vorhanden auch die Ortsgruppe der Rote Hilfe informiert und gegebenenfalls auch aufgesucht werden.