Seit mindestens Sommer 2020 laufen in Hamburg umfangreiche Ermittlungen gegen vermeintliche Aktivist*innen der Gruppe Roter Aufbau nach §129 bzw. §129a („kriminelle“ bzw. „terroristische Vereinigung“).
Die umfangreichen Ermittlungsbefugnisse, die die Repressionsbehörden aufgrund dieser Paragrafen haben (wie z.b. Observationen, Telekommunikationsüberwachung, der Einsatz von verdeckten Ermittlern usw.), werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch aktuell und weiterhin eingesetzt. Dies betrifft nicht nur das direkte Umfeld der angeklagten Genoss*innen, sondern darüber hinaus können über „Kontakte“ weite Teile der organisierten linksradikalen Strukturen in Hamburg betroffen sein.
Der Rote Aufbau bzw. seine Vorgängerstrukturen standen schon lange vor dem G20 Gipfel im Fadenkreuz der Staatsschutzbehörden, nicht nur dadurch, dass diese früh in den obligatorischen Reigen der Verfassungsschutzberichte aufgenommen wurden (etwa über die Organisation von revolutionären 1. Mai Demos), sondern es wurde auch früh versucht, eine Verbindung dieser Strukturen zu militanten Aktionen herzustellen. So kam es im Kontext eines Angriffs auf die Polizeiwache in der Lerchenstraße in Hamburg bereits 2009 zu Observationen gegen Personen, die diesem Spektrum zugeordnet wurden. Eine Woche vor dem G20 Gipfel durchsuchte die Polizei dann am 29.6.2017 zwei Privatwohnungen und eine Vereinsräumlichkeit wegen eines Interviews im Dezember 2016 in der taz, das als Billigung von Straftaten gewertet wurde.
Am 31.8.2020 erfolgten erneute Hausdurchsuchungen. Diesmal waren es 28 Razzien, die sich gegen 24 Beschuldigte wegen des Verdachts §129 und §129a richteten. Die Vorwürfe sind bei allen Betroffenen der Razzien individuell recht unterschiedlich gelagert und die Querverweise zwischen ihnen teils sehr verworren. Die Vorwürfe reichen von der Teilnahme an Demonstrationen, einem Urlaub in Frankreich, Bagatelldelikten, Graffiti bis hin zu 17 Vorwürfen inklusive der Zurechnung militanter Aktionen. Aus zusammenhangslosen Ereignissen und Kontakten wird versucht, das Bild einer organisierten und international vernetzten militanten Gruppe zu konstruieren.
Abseits der einzelnen Bausteine des Ermittlungskonstrukts gibt es eine ideologische Klammer, die diese zusammenhält. So wird dem Roten Aufbau als Organisation vorgeworfen, die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ abschaffen und durch den Sozialismus ersetzen zu wollen. Dieser Vorwurf offenbart den Kern einer gegen Strukturen gerichteten kollektiven Gesinnungs-Kriminalisierung. Er richtet sich gegen die politische Programmatik einer Organisation. Es reicht dann, der Organisation zugeschrieben zu werden, um entsprechend verfolgt werden zu können.
Über zwei Jahre nach den Hausdurchsuchungen vom August 2020 steht das Verfahren immer noch am Anfang. Obwohl es schon große Aktenberge erzeugt hat, sind erst Teile der Überwachungen ausgewertet und es gab bislang keine ergänzende Akteneinsicht für die Betroffenen. Die Repressionsbehörden versuchen sich in einer Politik der kontinuierlichen Nadelstiche, d.h. sie versuchen mit einzelnen Aktionen zu zermürben, mit der Botschaft: „wir bleiben an euch dran“ und „jede*r kann der/die nächste sein“. So kam es bereits eine Woche nach den Hausdurchsuchungen zu einer weiteren bei einem Zeugen aus einer ersten Hausdurchsuchung. Über das Jahr 2020 hinweg wurden einzelne Beschuldigte mehrmals bei der Arbeit aufgesucht, um sie unter Druck zu setzen. Aus den Durchsuchungen 2017 und 2020 folgten jeweils kleinere Verfahren.
Das Verfahren ist so angelegt, dass es eine Überwachung breiter Personenkreise auf unterschiedlichen Ebenen auch weiterhin ermöglicht. Durch das Einbinden unterschiedlichster Mobilisierungen und militanter Aktionen muss sich die gesamte Hamburger Linke unmittelbar von diesem Verfahren betroffen fühlen. Und dies nicht nur in puncto Überwachung, sondern auch in Hinsicht einer möglichen Ausweitung der Verfahren in unterschiedlichste Richtungen.
Wir rufen mit diesem Text zu Wachsamkeit und Vorsicht auf, aber auch dazu, sich nicht einschüchtern zu lassen! Die ebenfalls kürzlich bekannt gewordenen §129-Ermittlungen gegen Betroffene aus dem Parkbank-Verfahren und deren Umfeld verschärfen jedoch das Bild noch einmal, dass größere Teile der Hamburger radikalen Linken in den letzten zwei Jahren von einer umfangreichen Überwachung betroffen waren/sind.
Hier gilt es dran zu bleiben, über ideologische Grenzen hinweg, um die Bemühungen der Repressionsbehörden, linke Strukturen mit Organisations-Verfahren zu zermürben, ins leere Laufen zu lassen.
Mit dem Solidaritätskreis „Standhalten – Gemeint sind wir alle“, bestehend aus Betroffenen des Verfahrens, der Roten Hilfe Hamburg und weiteren Gruppen, wollen wir die Ermittlungen weiter begleiten, dokumentieren und auswerten. Dazu berichten wir auf gemeintsindwiralle.de im Internet und in den nächsten Monaten in Hamburg und bundesweit mit Veranstaltungen, auf denen ausführlich über die Ermittlungen informiert, die Repression reflektiert und ein Umgang damit diskutiert werden soll.
Hamburg, Januar 2023