Pressemitteilung zur erneuten Durchsuchungswelle in linken Berliner Buch- und Infoläden

Seit dem 17. September 2010 sind nicht einmal sechs Wochen vergangen, da
hat es in Berlin am gestrigen Dienstag wieder eine Durchsuchungswelle in
linken Läden und Einrichtungen gegeben – davon betroffen waren erneut die
Buchläden „oh21“ und „Schwarze Risse“ sowie der „Infoladen M99“.

Koordiniert wurden die Überfälle durch BeamtInnen der Berliner
Staatsschutzbehörde, die nun schon zum sechsten Mal in diesem Jahr an
diesen wichtigen Orten linker Gegenöffentlichkeit auftauchten. Als
Begründung für die Razzia diente den Staatsbütteln der § 130a des
Strafgesetzbuches („Anleitung zu Straftaten“). Danach können Menschen mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden,
wenn sie eine Schrift verbreiten oder sonst zugänglich machen, die
geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 126 Abs. 1 („Störung des
öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“) genannten
rechtswidrigen Tat zu dienen, und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die
Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu
begehen.

In diesem Falle ging es mal wieder um das seit 1988 in Berlin erscheinende
Polit-Info „Interim“, das in seiner 718. Ausgabe zu Straftaten und – in
Verbindung damit – zur „Herstellung verbotener Waffen“ aufgerufen haben
soll (§ 40 WaffG).

Außerdem sollte ein weiteres Verfahren wegen der Verbreitung von Plakaten
eröffnet werden, mit denen – im Rahmen der Kampagne „Castor schottern“ –
zur Beteiligung am Protest gegen den kommenden Castortransport aufgerufen
wird.

Hier sollen mit möglichst einschüchternden staatlichen Maßnahmen
Präzedenzfälle im Bereich der massiven Einschränkung radikaler linker
Opposition geschaffen werden, indem in den Durchsuchungsbeschlüssen die
„geschäftsführenden Personen“ der jeweiligen Buch- beziehungsweise
Infoläden als „Beschuldigte“ aufgeführt werden. Damit werden sie für den
Inhalt der von ihnen vertriebenen Schriftstücke oder Plakate
verantwortlich gemacht, obwohl ihnen genau das im Einzelnen gar nicht
nachgewiesen werden kann. Die bisherige Rechtsprechung geht davon aus,
dass BuchhändlerInnen zu wenig Kontrollmöglichkeiten haben, um die
Rechtmäßigkeit der Inhalte der von ihnen angebotenen Bücher und
Zeitschriften zu beurteilen.

Mit der bloßen Existenz bestimmter Schriftstücke soll auf deren
inhaltliche Befürwortung durch die LadenbetreiberInnen geschlossen und sie
so kriminalisiert werden. In der Praxis bedeutet dies eine gezielte
Verunsicherung und Einschüchterung und letztendlich staatlich exekutierte
Selbstzensur.

Hinzu kommt der nicht unerheblich ins Gewicht fallende
Abschreckungsaspekt, den solche mit hohen Kosten und Arbeit verbundenen
Maßnahmen stets beinhalten, auch wenn es perspektivisch nicht zu einer
gerichtlichen Verurteilung kommen sollte: In ihrer Funktion als
Schnittstellen zwischen breiter Öffentlichkeit und linken Strömungen
werden diese Buch- und Infoläden von staatlichen Repressionsorganen
angegriffen, um Berührungsängste zu schüren und sie in vorgelagerte
Zensurbehörden für Szeneveröffentlichungen zu verwandeln, in denen
radikale Veränderungen der Gesellschaftsordnung diskutiert, analysiert und
propagiert werden.

Die Rote Hilfe wird auch weiterhin allen den Rücken stärken, die sich im
kollektiven Verteidigen unabhängiger und unkontrollierter Medien nicht
einschüchtern lassen wollen und erfolgreich vorgehen bei der wahrnehmbaren
Schaffung linker Gegenöffentlichkeit!

Die Rote Hilfe wird es nicht zulassen, dass bereits das Zugänglichmachen
von Zeitschriften und Flugblättern, die zu Widerstandsformen der
außerparlamentarischen Opposition aufrufen, staatlicherseits zum
Verbrechen erklärt wird.

Mathias Krause für den Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.