02.11.2013 14:00h
Hachmannplatz (Hauptbahnhof)
Für den 2.11. ruft die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ zu einer Großdemonstration in Hamburg auf. In den vergangenen Wochen ist der Hamburger SPD-Senat von einer Haltung der Ignoranz zum offenen Angriff übergegangen. Täglich finden rassistische Kontrollen statt mit dem Ziel, die Mitglieder der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ zu identifizieren um ihre Abschiebung vorzubereiten.
Gegen diese Angriffe hat sich bereits ein breiter Widerstand formiert und es gibt jeden Tag verschiedene Protestaktionen und direkte Aktionen gegen die Kontrollen.
Wir begrüßen die zahlreichen Aktionen und rufen zur Teilnahme an der Großdemonstration auf. Hier dokumentieren wir den Aufruf:
Anerkennung der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ jetzt!
Was moralisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein.
Kommt zusammen gegen Unmenschlichkeit, Ungerechtigkeit und Rassismus!
Der Hamburger Senat blockiert weiterhin jede gerechte Lösung für die 350 libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in Hamburg“.
„Wir hoffen auf Eure Solidarität“ –
Mit diesem Aufruf trat die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ im Mai 2013 an die Öffentlichkeit. Menschen hörten zu, verstanden und engagierten sich. Seit fast einem halben Jahr ist „Lampedusa in Hamburg“ auf der Straße und tausende Menschen unterstützen ihre Forderung nach einem Aufenthaltsrecht.
Den Stimmen für Gerechtigkeit und Menschlichkeit zeigt der Senat unbeirrt die kalte Schulter. Hat die St. Pauli Kirche mit der notdürftigen Unterbringung von 80 der 350 „Lampedusas“ einen African Summer ausgerufen, bereitet der Hamburger Senat nun einen Deutschen Winter vor.
Zusammen mit der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ rufen die unterstützenden Kreise alle solidarischen Menschen auf, wieder zusammen zu kommen.
Genug ist genug!
Seit Monaten durchleben die ca. 350 Menschen der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ eine Situation, die seit dem Ausbruch des Krie- ges in Libyen und den Luftangriffen der NATO ein real nicht endender Alptraum ist – das Grauen des Krieges, die tödliche Fahrt über das Mittelmeer und ihre durch die EU organisierte Rechtlosigkeit. Zum „Schutz der Zivilbevölkerung“ bombardierte die NATO in fast 10.000 Angriffen Libyen. Italien prüfte die Fälle der dem Krieg entflohenen Menschen, erteilte allen Betroffenen den individuellen Flüchtlingsschutz, erklärte sich unfähig, diesen praktisch umzusetzen und trieb die Kriegsflüchtlinge aus dem Land in Richtung Nordeuropa.
Die Notwendigkeit für die Kriegsüberlebenden, nach allen Verlusten ihr Leben neu aufbauen zu können wird aber von den Regierun- gen der Länder, die der ganzen Welt Demokratie und der Menschenrechte predigen, blockiert.
„Wir, Arbeiter in Libyen, waren Teil der Zivilbevölkerung. Wir wurden zum Angriffsziel von allen Kriegsparteien. Die NATO behauptet, sie wüssten nichts von zivilen Opfern durch ihre Bombardierungen. Jemand, der aus tausenden Metern Höhe Bomben auf bevölkerte Gebiete abwirft, den interessieren zivile Opfer nicht. Wir haben die Detonationen am eigenen Körper gespürt. Wir haben die Toten in den Straßen gesehen. Es waren Verwandte und Bekannte darunter.“ (Lampedusa in Hamburg)
„Als im März 2011 die Bombardierungen der NATO zur Unterstützung der bewaffneten Gegner des Regimes begannen, eskalierte der Krieg. Weil keiner der Kriegsparteien zugehörig, wurden wir von allen Seiten verdächtigt und beschuldigt. Insbesondere die Propagan- dalüge der Gaddafi-Gegner „Schwarze sind Söldner des Regimes“ hat vielen von uns das Leben gekostet. Von allen Seiten wurden wir bedroht und ausgeraubt. Alle Wege zu den Grenzen der Nachbarländer waren gesperrt, bzw. wurden umkämpft oder bombardiert. Die Flughäfen waren dicht. Wir liefen um unser Leben und versteckten uns in unseren Wohnungen. Manchmal waren es libysche Freunde, die uns an die Küste brachten, um uns und sich selbst aus der Gefahr zu bringen. Viele wurden vom Militär unter Zwang in kleine Schiffe und Schlauchboote gebracht.“ (Lampedusa in Hamburg)
„Wir waren 850 Menschen auf einem Boot. Ich habe meine zwei Kinder verloren, als das Boot kenterte. 650 Menschen haben nicht überlebt.“ (Lampedusa in Berlin)
„In Lampedusa waren wir 7.000 Personen in einem Lager für etwa 900 Personen. Dennoch bemühen sich die Leute dort. Aber sie bekommen aus der EU keine Unterstützung. Das Dublin II System – Verbleib im Land der Erstankunft – verletzt unsere Menschenrech- te. Es zwingt uns auf der Straße zu leben und zu sterben. Nach Anerkennung unseres Flüchtlingsstatus hat uns Italien im Winter 2012 auf die Straße geworfen. Sie haben uns aufgefordert, Italien zu verlassen. Sie sagten: die EU ist groß, geht und findet euren Weg. Hier gibt es nichts mehr für euch. Und so war es dann, mit nichts im Schnee und Eis haben wir uns auf den Weg gemacht, nach Frankreich, Skandinavien, in die Schweiz und nach Deutschland. Wir sind anerkannte Flüchtlinge aus einem Krieg, an dem die Europäischen Staaten sich beteiligt haben und dennoch tun sie so, als würden wir nicht existieren. Aber wenn wir uns zeigen und unsere Situation sichtbar machen, will man uns abschieben. In Italien können wir betteln, hungern, stehlen, Straßenjunge werden oder einfach sterben, Hauptsache, das Dublin II System wird umgesetzt. Es ist schmerzhaft, nachdem wir in Libyen unser Leben stabilisieren konnten, erneut ums Überleben kämpfen zu müssen – in den Ländern, die sich als große Demokratien bezeichnen.“ (Lampedusa in Hamburg)
„Ich hätte nie gedacht, dass Europäer so böse sind. Du setzt jemanden auf die Straße und erlaubst ihm nicht, seine Rechte zu bekom- men. Du erlaubst ihnen nicht, zu arbeiten, du erlaubst ihnen nicht, gut zu leben. Du erlaubst ihnen nicht, frei zu sein. Warum? Warum das alles? Das ist Boshaftigkeit.“ (Lampedusa in Berlin)
„Es ist, wie wenn jemand dir sagt, , dass du wieder ins Feuer musst, nachdem du gearde aus dem Feuer geflohen bist. Ohne den Krieg in Libyen und ohne die katastrophale Menschenrechtslage für Flüchtlinge in Italien, wären wir nicht hier. Wir sind erschöpft und zer- mürbt von einer langen unfreiwilligen und grauenhaften Reise. Wir suchen ein Ende der Verweigerung unseres Lebensrechts. Wir sind hier, um zu bleiben.“ (Lampedusa in Hamburg)
Zu der Haltung des Senats:
Seit Monaten wiederholen Innensenator Neumann, Sozialsenator Scheele und Bürgermeister Scholz monoton den Satz „Zurück nach Italien“. Die in zahlreichen Studien (u.a. von der NGO Borderline e.V.), Untersuchungen und Erfahrungsberichten festgestellte inhu- mane Situation für Flüchtlinge in Italien wird schlicht ignoriert. Mehr als 50% deutscher Verwaltungsgerichte lehnen in Urteilen die Abschiebung von Flüchtlingen nach Italien ab. Auf Vorschlag der Nordkirche nach Gesprächen mit dem Senat reichten die Anwälte der Gruppe und die Anwälte der Nordkirche drei Musteranträge von Flüchtlingen zur Anerkennung ein. Diese sollten laut Senat als Gesprächsgrundlage für weitere Verhandlungen dienen. Dazu, der Sprecher der Gruppe, Asuquo Udo, in einer Pressemitteilung vom 12.09.2013: „Wir sind sehr dankbar für das Verständnis der Hamburger Bevölkerung und die große Unterstützung, die wir täglich erfahren. Das gibt uns in unserer verzweifelten Situation die Kraft immer wieder aufzustehen und für unsere Rechte zu kämpfen. Wir können nicht mehr länger warten, die Situation bedroht unsere Gesundheit und unser Leben.
Die Situation macht uns krank, das kalte Wetter macht es nur schlimmer. Wir leiden unter der Ungewissheit und der erzwungen Untätigkeit, es ist psychisch sehr belastend für uns. Wir haben uns entschieden gemeinsam mit unseren Anwälten repräsentative Anträge auf humanitären Aufenthalt zu stellen, damit sich der Senat nicht mehr weiter seiner Verantwortung entziehen kann. Wir sagen aber ganz klar: Die Anträge stehen exemplarisch für die ganze Gruppe, wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen! Die Ignoranz und die politischen Spielchen der politisch Verantwortlichen sind lebensgefährlich für uns, das muss endlich ein Ende haben! Wir wurden aus zwei Ländern vertrieben, unser Leben wurde gleich doppelt von der europäischen Politik zerstört. Wir können nicht zurück, wir bleiben hier!“
Am 16. September erklärt der Senat, dass er in den Anträgen keine Gründe für einen Aufenthalt der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ erkennen könne. Es ist beschämend aber nicht überraschend, dass die Kriegsflüchtlinge und die zahlreichen Unterstützer_in- nen von der Ignoranz der Macht verhöhnt werden. Die Kirche versucht die humanitäre Hilfe fortzusetzen und plant Container für die Winterzeit auf Kirchengeländen aufzustellen. Der Senat verweigert dafür die notwendige Baugenehmigung. Er will, dass die Kriegsflüchtlinge der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ den Winter in Hamburg nicht überstehen. Der Senat spielt weiter mit den Leben der Menschen.
Die Behauptung, die libyschen Kriegsflüchtlinge würden ihre Identität verstecken ist eine Lüge und soll die unmenschliche Haltung des Senats rechtfertigen.
Der Senat will nicht mit den Betroffenen über ihre Lage und ihre Forderungen sprechen, aber er möchte eine Namensliste. Wozu? Alle haben schon ein Asylverfahren in Italien durchlaufen und ihr Flüchtlingsstatus wurde anerkannt. Der Senat will, dass alle erneut Einzelverfahren durchlaufen, wobei er schon erklärt hat, dass die absolute Mehrheit abgelehnt werden wird. Was soll dieser Zynismus?
Wir tragen alle die Verantwortung im Sinn von Gerechtigkeit und Menschlichkeit, diese schleichende Vernichtung endlich zu stoppen. „…ob sie es merken oder nicht, es frisst an ihrer Seele, macht aus ihnen lebende, atmende Roboter ohne Herz, denen dadurch absolut jedes menschliche Verständnis abhanden kommt. Frantz Fanon hat dies vor Jahren im Zusammenhang mit der blutigen Herrschaft Frankreichs über Algerien festgestellt, und dasselbe ist heute wahr in Deutschland im Zusammenhang mit uns Flüchtlingen.“ (aus The VOICE Refugee Forum gegen koloniales Unrecht in Deutschland)
Zu den Lebensumständen der Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in Hamburg“:
Seit über 5 Monaten leben sie in einem zusammen mit zahlreichen ehrenamtlichen Helfer_innen organisierten Provisorium. Eine behelfsmäßige Versorgung mit Kleidung, Essen und Schlafplätzen wird mit Hilfe aus der Hamburger Bevölkerung hergestellt.
Der psychologische Druck durch die Traumatisierung der Flucht und die andauernde Unsicherheit hat mehrere Gruppenmitglieder mental krank gemacht. Nach wie vor leiden Gruppenmitglieder an verschiedenen Krankheiten, die meist mit der prekären Situation und dem Leben auf der Straße und an den notdürftigen Schlafplätzen in Verbindung stehen. Mehr als die Hälfte der Gruppe würde längst arbei- ten. Aufgrund der Tatsache, dass alle Berufe in Libyen ausgeübt haben, und in Hamburg Arbeitskräfte gebraucht werden, hatten viele Arbeitsangebote bekommen. Jedoch erhalten sie keine Arbeitserlaubnis. Es ist bewundernswert, wie unter den extremen Bedingun- gen die Gruppe weiter zusammensteht, und die Betroffenen sich gegenseitig stützen. Hinter jeder Person stehen Angehörige, Familien und Schutzbefohlene, die seit dem Krieg in Libyen von der Unterstützung abgeschnit- ten sind. Es macht wütend zu sehen, wie der Senat versucht auf Zeit zu spielen, um die Menschen zu frustrieren, in Depressionen und Aggressionen zu stürzen und auf einen langsamen Zerstörungsprozess der Individuen setzt. Es beginnt bald der dritte Winter nach dem Krieg in Libyen und die Opfer sind immer noch die Geächteten, die Verfolgten, die Rechtlosen.
Kommt alle! Wir brauchen Euch!
Alle, die die traumatische Geschichte der Arbeiter aus Libyen via Italien nach Hamburg kennen gelernt haben, stehen hinter der Gruppe und teilen die Forderung nach Erteilung eines sicheren Aufenthaltstitels.
Es gibt für „Lampedusa in Hamburg“ keinen anderen Weg als weiter für ihre Rechte in Hamburg zu streiten. Viele solidraische Menschen empfinden die Haltung des Senats als menschenverachtend und wira lle sind bereit dem Senat die rote Karte zu zeigen. Wir brauchen Euch jetzt alle in Hamburg auf der Straße am 2.11. und am 6.11. auf dem Rathausmarkt.
Wir wolen den Senat wissen lassen, dass sie die Menschen nicht wie Dreck behandeln können – weder die Flüchtlinge noch die seit Monaten aktiv solidarischen Menschen. Eignen wir uns ein Stück unserer geraubten Würde zurück, indem wir in einer der reichstenn Städte Europas 350 Kriegsüberlebenden, die weiter für ihr überleben kämpfen, zu ihrem Recht verhelfen.
Wir wollen die Anerkennung der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ jetzt!
Es gibt einen Paragraphen im Gesetz, der vom Gesetzgeber dafür vorgesehen ist – §23.
Es ist für die Hamburger Regierung einfach, eine Lösung zu finden, jedoch gefällt diese sich besser darin, Zeichen der Unmenschlichkeit auszusenden. Solidarität ist die Basis einer friedlichen und gerechten Gesellschaft. Solidarität unter den Unterdrückten ist die einzige Antwort auf die Angriffe der Unterdrücker.
Wir rufen Euch: Schüler_innen, Student_innen und Lehrer_innen,
insbesondere an den Schulen finden immer wieder Verteidigungskampagnen gegen die Abschiebung von Mitschüler_innen statt und die Kampagne für Fabiola und ihre Familie haben ein starkes Zeichen gesetzt. Bleibt dabei, ihr gestaltet die Zukunft der Gesellschaft.
Wir rufen Euch: die migrantischen Gemeinschaften,
im Schicksal der libyschen Kriegsflüchtlinge fanden viele von Euch die Verbindung durch die eigene Erfahrung mit der Ablehnung und der Ausgrenzung in Deutschland. Der Rassismus zerstört den einzelnen Menschen sowie das Fundament der menschlichen Gesellschaft. Eure Stimme an der Seite derjenigen, die nach Euch gekommen sind, gibt Hoffnung für den Aufbau einer tatsächlich solidarischen Gemeinschaft.
Wir rufen Euch: Arbeiter und Arbeiterinnen,
die allen Reichtum produzieren aber fast nichts davon in den eigenen Händen halten, die Trennung verläuft nicht zwischen uns, die arbeiten um zu überleben, sondern zwischen uns und denen, die davon profitieren, dass sie uns gegeneinander ausspielen.
Wir rufen Euch: Menschen dieser Stadt, dieses Landes, dieser Welt,
für eine Abkehr von der seelenlosen, technokratischen Organisierung der Gesellschaft, für die Solidarität untereinander als Grundlage unseres Handelns.
Weitere Informationen: www.lampedusa-in-hamburg.org