Die Reform des Hamburger Polizeirechts setzt neue Maßstäbe der Repression
Keine Zeit für Fragen: Binnen weniger Wochen wollen SPD und Grüne in Hamburg ein neues, angeblich grundrechtsfreundliches Polizeigesetz durchpeitschen. Was sie als moderat bezeichnen, hat es in sich: Zwar müssen viele Maßnahmen, die in anderen Bundesländern auf massiven Protest gestoßen sind, in der Hansestadt nicht eingeführt werden – weil es sie dort schon lange gibt. Aber das Gesetz gibt der Hamburger Polizei vor allem die Möglichkeit, noch mehr als bisher Menschen aufgrund von Prognosen, Vermutungen und Spekulationen zu überwachen und zu verfolgen.
Die Reform des Hamburger Polizeirechts setzt neue Maßstäbe der Repression
Keine Zeit für Fragen: Binnen weniger Wochen wollen SPD und Grüne in Hamburg ein neues, angeblich grundrechtsfreundliches Polizeigesetz durchpeitschen. Was sie als moderat bezeichnen, hat es in sich: Zwar müssen viele Maßnahmen, die in anderen Bundesländern auf massiven Protest gestoßen sind, in der Hansestadt nicht eingeführt werden – weil es sie dort schon lange gibt. Aber das Gesetz gibt der Hamburger Polizei vor allem die Möglichkeit, noch mehr als bisher Menschen aufgrund von Prognosen, Vermutungen und Spekulationen zu überwachen und zu verfolgen.
Der Gesetzentwurf soll bisher rechtlich nicht abgesicherte Praktiken der Polizei legalisieren, wobei damit die polizeiliche Arbeit immer weiter ins Vorfeld einer tatsächlichen „Gefahr“ verschoben wird. Eine große Diskussion ist zumindest in der parlamentarischen Auseinandersetzung nicht zu erwarten.
Kaum hatte der Senat den Gesetzentwurf nach der Sommerpause veröffentlicht, wurde er schon im Plenum der Hamburgischen Bürgerschaft und weitere drei Wochen später im Innenausschuss abgehandelt. Dann noch eine schnelle Expert*innen-Anhörung, und schon ist das neue Gesetz wahrscheinlich bereits im Herbst durch. Damit hat sich Rot-Grün an der Elbe schlauer angestellt als andere Bundesländer, denn durch die hanseatische Eile wird eine öffentliche Diskussion wie anderswo faktisch verunmöglicht. So hatte in Bayern der gummiartige Begriff der „drohenden Gefahr“ enormen öffentlichen Protest ausgelöst, weil er unübersehbar so interpretationsfähig ist, dass er alles erlaubt. Eine solche gesetzlich unscharfe Norm wurde im Entwurf in Hamburg zwar vermieden, aber „Prävention“ ist der Begriff der Stunde, um Fußfesseln, gezielte Kontrollen und Überwachungssoftware zu legitimieren. Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als dass für freiheitsbeschränkende und andere Maßnahmen weder eine konkrete Tat, noch zumindest ein gut begründeter Verdacht vorliegen muss, sondern allein eine Prognose, die die Polizei praktischerweise gleich selbst stellen darf.
Andere Instrumente wie die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, Bodycams, Videoüberwachung, „gefährliche Orte“, der Einsatz von Tasern oder ein zehntägiger Präventivgewahrsam – in anderen Bundesländern mit den neuen Polizeigesetzen eingeführte Befugnisse, die dort Empörung und Protest ausgelöst hatten – gibt es in Hamburg seit vielen Jahren. Und sie werden auch von der angeblich so progressiven und grundrechtsfreundlichen Koalition nicht angerührt.
Erzwungene Korrekturen durch gerichtliche Grundsatzurteile
Was also wird in Hamburg neu geregelt? So wird etwa für verdeckte Maßnahmen wie Observationen ein gerichtlicher Vorbehalt eingeführt und die Berichtspflicht über polizeiliche Maßnahmen gegenüber dem Landesparlament ausgeweitet, zum Beispiel auch zum Einsatz von verdeckten Ermittler*innen. Dies stellt aber nicht mehr als eine bloße Anpassung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bzw. EU-Normen dar. Dessen Urteile bzw. Richtlinien hätten bereits vor Jahren Reformen an der bisher schon extrem repressiven Hamburger Gesetzeslage erforderlich gemacht. Umgesetzt werden die vorgeschriebenen Korrekturen allerdings erst jetzt mit reichlich Verspätung. Und besonders der richterliche Vorbehalt für polizeiliche Maßnahmen ist nahezu nichts wert angesichts von richterlichen Entscheidungen zu Durchsuchungsbeschlüssen oder Haftbefehlen: Sie folgen meistens unkritisch und eben ohne Vorbehalte den polizeilichen „Wünschen“.
Umfassende Verschärfungen
Mit der Neufassung zum „Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei“ (PolDVG) und zum „Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ (SOG) sollen nun die polizeilichen Befugnisse erheblich erweitert und weit ins Vorfeld von Straftaten verlegt werden:
Im §30 PolDVG-E wird die sogenannte elektronische Aufenthaltsüberwachung eingeführt, besser bekannt als „Fußfessel“. Bereits eine „Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person“ soll nun genügen, um sie anzuordnen. Zur Rechtfertigung von Fußfesseln instrumentalisieren SPD und Grüne Fälle häuslicher Gewalt mit dem Beispiel des prügelnden Ehemanns, dessen Kontaktverbot gegenüber seiner Familie so überwacht werden soll. Allerdings wird die Polizei eine „Gefahr für Leib und Leben“ auch in allen möglichen anderen Situationen als gegeben ansehen und beispielsweise vor Demonstrationen linke Aktivist*innen elektronisch überwachen.
Noch niedriger wird die Schwelle für die sogenannte gezielte Kontrolle (§31 PolDVG-E) gesetzt. Wer zur gezielten Kontrolle ausgeschrieben ist, darf bei jedem zufälligen Polizeikontakt ausgiebig kontrolliert, die Person wie auch ihre mitgeführten Sachen durchsucht werden. Als Grund für die Ausschreibung genügt, dass die „Gesamtwürdigung der Person und der von ihr begangenen Straftaten“ oder andere „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person Straftaten von erheblicher Bedeutung“ begehen wird. Diese folgenschwere „Gesamtwürdigung“ nimmt die Polizei selbst vor. Die Anordnung bleibt bis zu einem Jahr lang gültig. Während sonst die Durchsuchung außer an den „gefährlichen Orten“ einen konkreten Anlass voraussetzt, reicht jetzt allein eine abstrakte Prognose aus, um eine Person jedes Mal, wenn sie zufällig auf Polizeikräfte trifft, kontrollieren und durchsuchen zu können. Angesichts einer Polizei, die sich gern ihre Gefahrenlagen selbst erfindet – Hamburger*innen seien erinnert an das Märchen vom „Angriff auf die Davidwache“, mit dem das riesige Gefahrengebiet Anfang 2014 begründet wurde – , liegt das Schikane- und Übergriffspotenzial dieser Bestimmung auf der Hand.
Entgrenzte Datenspeicherung bei ausgehebelter Kontrolle
Besonders brisant sind die neu vorgesehenen „automatisierten Anwendungen zur Datenanalyse“ (§46 PolDVG-E). Dabei verknüpfen Analysesoftwareprogramme eine Vielzahl von personenbezogenen Daten miteinander und werten sie systematisch aus – und zwar automatisch, ohne weiteren Anlass. Damit lassen sich abhängig von den vorliegenden Daten das soziale und politische Umfeld und persönliche Eigenschaften von Betroffenen rekonstruieren und darstellen. Zwar erlaubt die Regelung nicht die Erhebung neuer, sondern „nur“ die automatische Analyse bereits erhobener Daten, aber mit diesen Ergebnissen werden tiefe Einblicke in die Privatsphäre möglich, die ohne solch eine Software nicht zu erlangen wären, womit die Persönlichkeitsrechte ganz erheblich beeinträchtigt werden. Dadurch manifestieren SPD und Grüne eine Verständnis von Polizeiarbeit, in dem potenzielle Risiken und Gefahren durch umfassende Datenanalyse bereits weit im Vorfeld ihrer Realisierung prognostiziert und abgewendet werden sollen. Dies führt zu einer Vorverlagerung des Eingreifens allein aufgrund von polizeilichen Prognosen.
Ebenfalls vorgesehen ist, dass die Polizei – unabhängig von einer ED-Behandlung – Lichtbilder von Personen in einer Gefangenensammelstelle anfertigen darf (§17 PolDVG-E). Voraussetzung dafür ist lediglich, dass die Fotos zur „Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung im Gewahrsam“ oder zur Identitätsfeststellung erforderlich sind – eine sehr schwache Begründung für einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Für Betroffene ist im Gewahrsam zudem nicht erkennbar, ob sie schon ED-behandelt werden oder es sich „noch“ um ein „Gewahrsamsfoto“ handelt. Die Begründung der geplanten Regelung liest sich wie eine direkte Ansage an die linke Szene und als Antwort auf die G20-Proteste: Bei der Ingewahrsamnahme größerer Personengruppen erschienen sie häufig in „uniformer“ Kleidung. Für die Polizei sei es dann schwierig, die Personen auseinanderzuhalten, manche würden gar im Gewahrsam ihre Kleidung untereinander tauschen.
Die Fristen für die Speicherung personenbezogener Daten werden im §35 massiv ausgeweitet, potenziell auf ewig: Bisher lief die Frist für die Höchstspeicherdauer ab dem Datum der ersten Speicherung, zukünftig richtet sie sich nach dem Datum der letzten Eintragung. Jedes Mal, wenn weitere Daten gespeichert werden, beginnt die Frist also von neuem. Sie wird nur noch durch eine absolute Höchstfrist von zwanzig Jahren (bei Erwachsenen) begrenzt. Aber selbst darüber hinaus ist eine Speicherung in Einzelfällen möglich.
Nicht genug, dass der Polizei damit extrem weitreichende Repressionsmöglichkeiten an die Hand gegeben werden, die sie allein aufgrund selbst gestellter Prognosen anwenden kann – auch die wenigen Möglichkeiten einer effektiven Kontrolle ihres Handelns, die über den reinen Bericht an die Bürgerschaft hinausgehen, werden eingeschränkt. So beschneidet das nach Darstellung des Senats so grundrechtsfreundliche Gesetz die Befugnisse des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) entscheidend. Bisher hat der Datenschutzbauftragte eine sogenannte Anordnungsbefugnis gegenüber der Polizei bzw. der Aufsichtsbehörde: Stellt er datenschutzrechtliche Verstöße bei behördlichem Handeln fest, kann er verbindlich anordnen, dass die Maßnahme beendet wird (der Rechtsweg steht der Behörde natürlich offen). So geschehen, als er der Polizei jüngst die weitere Nutzung der Gesichtserkennungssoftware untersagte, die sie im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel verwendet hat. Diese bisher schon eingeschränkte Kompetenz des HmbBfDI wird ihm nun komplett genommen. Widersprüche zu polizeilichen Maßnahmen bleiben noch wirkungsloser, als sie jetzt schon sind.
Zusammengefasst: Das Polizeirecht in Hamburg muss nicht so aufsehenerregend verschärft werden, wie es in anderen Bundesländern geschehen ist – weil es bereits extrem scharf ist.
Das neue Gesetz ermöglicht der Polizei, weit im Vorfeld von tatsächlichen Gefahren oder Straftaten aufgrund von spekulativen Prognosen und willkürlichen Annahmen Freiheits- und Persönlichkeitsrechte massiv einzuschränken. Politischer Protest und Widerspruch soll schon im Vorfeld unterbunden werden können. Zugleich werden auch noch die rechtsstaatliche Bindung und die wenigen Möglichkeiten demokratischer Kontrolle dieses zunehmend entgrenzten staatlichen Handelns massiv eingeschränkt. Die politische Botschaft dahinter lautet, „die“ Polizei als autoritäre Akteurin in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu legitimieren.
Damit erweist sich das geplante Hamburgische Polizeigesetz als Baustein einer künftigen effektiveren staatlichen Repression gegen Unangepasstheit, Proteste und Widerstand linker Bewegungen.
Zum Nachlesen: Der Gesetzentwurf findet sich unter http://buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/67514/drittes_gesetz_zur_aenderung_polizeirechtlicher_vorschriften.pdf.
Rote Hilfe Hamburg, September 2019